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Glosse: Wenn der Landesdatenkonservator eingreift

Gedächtniskultur meint ja auch Denkmalpflege. Für die gibt es eine Behörde. Und vielleicht ist der Landeskonservator ja prädestiniert dafür, den Erhalt digitaler Werke zu verwalten. Dachte sich jedenfalls Henry Steinhau*, dessen Glosse daher gut in diesen Blog und zur Konferenz paßt.

Eine Vorladung? Verwundert scanne ich durch die Tiefen meiner Langzeiterinnerungen: Wieso das denn bitte? Und wer oder was ist das LDDA? „Hey, ich brauche noch Ihre Unterschrift, dass Sie das Einschreiben angenommen haben“, stupst mich der Postler aus meinem „Was kann es nur sein?“-Suchmodus. „Äh, ja, klar.“ Kritzel, kritzel.

Einen echten Brief zu quittieren, das kommt ja mittlerweile sehr selten vor. Normalerweise stopft der Bote nur diese unpersönlichen „An alle Bewohner des Hauses“-Indirektmarketing-Briefe in die Kästen, weshalb für mich die Gelbjacken schon lange nicht mehr „Post-Boten“ sondern „Spam-Bots“ sind. Nun diese eingeschriebene und persönliche Vorladung vom „LDDA“, wie es auf dem Umschlag heisst, neben einer Art Icon, dass einen stilisierten Uralt-PC-Monitor zeigt.

Ich öffne den Umschlag und überfliege das denkbar kurze Schreiben: „ … sind Sie verpflichtet, am … um … Uhr zu erscheinen, weiteres erfahren Sie über den hier abgebildeten QR-Code. Mit freundlichen Grüßen, … , Landesdatenkonservator beim Landesdigitaldenkmalamt (LDDA)“. Wieso schicken die toten Baum, wenn ich am Ende auf eine Website muss? Hätte doch ’ne Mail gereicht, … ts – Ämter!

„Willkommen, Sie haben unser Einschreiben also angenommen … nachdem wir Sie dreimal per Mail angeschrieben, jedoch keine Reaktion von Ihnen erhalten haben … “ Grmpf. Kein Wunder, denke ich, bei diesem Kürzel: selbst schwach eingestellte Spamfilter schlagen doch bei so etwas wie „LDDA“ tiefrot aus. Aber, worum geht es denn nun? „ … bezüglich der von Ihnen am … übernommenen Webdomain … diese steht seit … unter Digitaldenkmalschutz und muss daher optisch wie funktional vollständig in Ihrem Zustand der Jahre … bis … erhalten bleiben. Zum Zwecke der Klärung aller Auflagen und diesbezüglicher Kooperation mit dem LDDA … zur Besprechung in meinem Büro am … “

Na, toll. Was denken die sich denn? Kopfschüttelnd lächele ich die Vorladung erstmal in meine Zwischenablage für Kurzzeit-Belustigungen. Ich kümmere mich doch nicht darum, diese völlig veralteten Webseiten am Online-Leben zu erhalten. Für wen denn, bitte? Ausserdem haben die Jungs die Server doch eh schon letzte Woche komplett überspielt, der seit Monaten ungeklickte Krempel von davor ist doch längst im Hyperraum entsorgt. Was wollen diese LDDA-Deppen eigentlich noch? Moment, was steht da unten in roter Schrift?

„ … Ihre am … vorgenommene Löschung der fraglichen Webseite haben wir rückgängig gemacht, die Passwörter geändert; der Zugang auf die Domain ist Ihnen bis auf Weiteres nicht gestattet. Die von Ihnen überspielten Daten wurden von uns aber gesichert, wir schalten Sie Ihnen nach unseren Gesprächen und gegen eine Gebühr von … wieder frei.“

Wie bitte? Die haben uns gehackt? Ich glaube, es hackt!!

Hausabriss-Berlin-Dahlem

Mit ordentlich Wut in meinem Arbeitsspeicher fahre ich also zum Landesdigitaldenkmalamt in der Innenstadt. Ich stelle mir ein viktorianisches Gemäuer vor, in dem grauschläfige Analog-Zombies auf quietschenden Rollwagen ihre vergilbten Aktenordner hin- und herschieben, um mit ihren netzweltfremden Vorschriften den Digital Natives das Leben in der Matrix zu vermiesen.

Doch als ich in die Straße einbiege, dämmert es mir: Hier war ich doch schon mal mit den Kids, als wir uns einen nostalgischen Tag machten im … richtig: Computerspielmuseum! Die riesengroße Leuchtschrift ist zwar neu, doch an das Gebäude kann ich mich erinnern: attraktiver Bau, viel Fläche, sehr modern ausgestattet, und mit viel Luft nach oben. Jedenfalls, als wir dort waren, denn da schienen die oberen Etagen leer zu stehen, bereit für Expansion. Und genau da sitzt nun offenbar der Landesdatenkonservator, wie das Türschild verrät, das direkt neben dem Museumseingang zu den oberen Stockwerken weist.

In der dritten Etage dann ein Empfangsraum wie bei einem hippen Startup: Designer-Counter, Latte Macciato Maschinen, eine Leihstation mit Tablets, Rollern und Tassen mit LDDA-Aufdruck sowie eine Wartezone mit Sitzsäcken. Um mich anzumelden, muss ich an einem „Terminal“ den QR-Code meiner Vorladung einscannen. Kurz darauf kommt eine junge Dame zu mir. Auf dem Weg zur Besprechungsinsel erläutert sie: „Wir gehörten ursprünglich zum LDA, wurden aber für eine Public-Private-Partnership abgekoppelt. Seit wir mit dem Computerspielmuseum kooperieren, geht es uns gut: unten bezahlen die Leute Eintritt für das, was wir hier oben vor ihnen selbst retten. Die Eröffnung der neuen Abteilung ‘Webseiten und Apps‘ ist in zwei Monaten, sie nimmt die komplette zweite Etage ein. Und schon im Herbst soll eine Sonderausstellung zu ‘Skeumorphisms‘ eröffnen.“

Wir durchqueren mehrere Arbeits-Zonen mit offenen Arrangements aus Schreibtischen, Stehpults und Rumlümmel-Sofas, die Mitarbeiter gehören allen Generationen und Stilen an, von Retro-Nerds über Null-Eins-Normalos bis zu Entschleunigern (Slow Mover). Als mein Gesprächspartner auf mich zukommt, habe ich schon das zweite Deja vu des Tages: Dich kenn ich, Du warst doch mal … „ … , Gründer dieser ‘Multimedia-Bude‘, wie Du damals immer gesagt hast“, entgegnet er mir in mein offenbar lesbares Grübelgesicht. „Ja, genau“, sage ich herzlich, „ihr wart doch immer ganz weit vorne, habt euch mit Datenbank-Anbindungen für Terminals in Kaufhäusern rumgeplagt. Hatten ‘ne schicke Oberfläche, aber funktional … “ Er winkt ab: Schnee von gestern – aber irgendwie doch historisch wichtig, deswegen sei er hier im LDDA gelandet. Im Keller gäbe es die Aservatenkammer mit dutzenden Uralt-Terminals, unförmigen Rechnern, monströsen Festplatten, Druckern mit Schallschutzhauben, das ganze Zeugs. Doch es gehe eben auch um die Software, die Oberflächen von Programmen, Anwendungen und Webseiten, von Apps und Games. „Grüne Schrift auf schwarzem Hintergrund, gelbe Schrift auf braunem Hintergrund, Mann, war das gruselig … “. Ja, klar, aber irgendwie gehöre es eben zur Kulturgeschichte, zum digitalen Lebensstil, zur Medienkultur. Und daher habe das Landesdigitaldenkmalamt den Auftrag – und die Verfügungsgewalt – eben auch bestimmte Webseiten zu erhalten:

„Nicht nur für museale Zwecke speichern sondern unbedingt öffentlich online halten. Das ist unser Job.“

„In der wirklichen Welt gibt es ja auch begehbare Gedenkstätten, müssen Fassaden oder Innenarchitekturen in ihrer Ursprünglichkeit erhalten bleiben“, erklärt er. Und die von mir erworbene Domain sei nun einmal genau so ein Fall. „Nicht Dein Ernst, oder?“, opponiere ich. „Schau Dir das Design an, mit diesen farbigen Kacheln, das ist so langweilig, da klickt doch keiner mehr hin. Die Seite ist verwaist. Und überhaupt, Du weisst doch selbst, dass seit den Carsonianern das Webdesign endlich wieder frei ist. Kacheln, Dreispaltigkeit, Pulldownmenüs und Popup-Windows, mit diesem langweiligen Einheitsbrei haben die aufgeräumt und alle Regeln, frei nach Typografie-Anarcho David Carson, bewusst gebrochen. Und mal ehrlich, diese viereckigen MS-Kacheln, die waren doch nun wirklich kein wertvoller Beitrag zur … “

„Leider doch! Denk‘ doch mal nach, die Social Media-Plattformen: Flipboard und LinkedIn, Google+ und irgendwie auch Facebook, alle haben vorgekachelt und dann haben eben die Webseitengestalter nachgekachelt. Das war ‘Mainstream‘, oder?“ OK, ja, das stimmt schon, sage ich, aber wieso gerade die von uns übernommene Domain, die ist doch so was von dröge und dermaßen durchschnittlich gewesen … „Eben drum!“, ruft er begeistert. Um mir dann noch einen Impuls zu geben.

„Pass mal auf, wir werden ab diesem Jahr Menschen oder Firmen mit einem Preis auszeichnen, die sich in besonderer Weise um Digitale Denkmale oder die Online-Denkmalpflege verdient gemacht haben, ganz in der Tradition der ‘Ferdinand-von-Quast-Medaille‘. Das wäre ‘ne Chance für euch, ihr seid doch so scharf auf Awards. Außerdem suchen wir im übrigen noch eine Agentur, die für uns Webseite und App für diesen Preis umsetzt. Der DigiPitch startet nächste Woche.“

„OK“, sage ich, „da beisse ich doch glatt an. Schick‘ mir dazu mal so‘ne Vorladung“. Er nickt zufrieden.

Ich glaube, den hat er jetzt nicht mitbekommen. Grins.

*Henry Steinhau arbeitet als freier Medienkultur-Journalist in Berlin und gehört zur Redaktion von iRights.info